Heike Marquardt

Katalogtext "Junge Kunst 10/08", Sparkasse Bremen

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von Dr. Katerina Vatsella, Kunsthistorikerin

Weißgekleidete, fast transparente Frauengestalten scheinen in einer üppigen Unterwasserlandschaft zu schweben. Im Zeitlupentempo gleiten sie tänzerisch unter bewegten Meerespflanzen hinter einem riesigen weißen Seestern und einer halb offenen Muschel in die Tiefe, feenhafte Erscheinungen aus einer Traumwelt. Betrachtet man das Bild "Unterwasser-Tänzerinnen mit Seestern"(2008) länger, meint man gar weit entfernt einen Klang, zumindest das leise Rauschen von Wasser zu vernehmen. Andere, ebenfalls weißgekleidete, komisch-groteske Figuren mit eigenartigen Kopfbedeckungen, tanzen und hüpfen wie Kobolde zwischen den farbigen Bäumen eines Waldes, während eine von ihnen auf riesigen Rollschuhen schwungvoll aus dem Wald herausfährt und sich an einer weiteren Figut in kurzem Tanzkleid vorbei bewegt, die gerade dabei ist, ihren Kopf mit einem Tuch zu bedecken.

Die Bilder von Heike Marquardt geben Einblick in seltsame, phantastische Welten, die von bizarren, skurrilen und poetischen Gestalten bevölkert werden. Manchmal erscheinen uns diese Gestalten vertraut - sie sind dann oft Zitate aus der Kunstgeschichte, die die Malerin vor allem aus Bildern alter Meister entlehnt, wie beispielsweise " Las Meninas", von Diego R. Velasquez 1656 gemalt. Dieses Bild hat viele Künstler bis heute inspiriert und die Figuren der kleinen Infantin Margarita Teresa aber auch diejenigen der beiden Hofdamen mit ihren weiten, ausladenden Kleidern sind immer unverkennbar. doch auch die Figur der Zwergin mit den unharmonischen Proportionen scheint Heike Marquardt fasziniert zu haben. So sticht auf ihrem Bild "Las meninas y las minas" (2008), das Mädchen mit hochgestecktem Haar und Schleife aus dem Kreis der anderen, festlich herausgeputzten Mädchen nicht nur durch ihren breiten, historisieren Rock hervor, sondern auch durch ihre im Verhältnis zu ihrem Körper zu lang geratenen Arme.

Solche Proportionsverschiebungen finden sich oft bei Heike Marquardts Figuren. Auch der Schirmträger "Im Tanzraum" (2008), hat extrem lange Arme und einen ziemlich gedrungenen Körper, sowie die Arme und Beine der Tänzerin in der Bildmitte ebenfalls stark überlängt sind, was der Figur in ihrer Drehung und ihrem Sprung jedoch eine besondere Räumlichkeit verleiht. Auch "Miss Hanna mit Hühnchen" (2005) hat einen zu großen Kopf und ebensolche Hände im Verhältnis zu ihrem eng verschnürten Oberkörper. Die Künstlerin geht spielerisch mit Proportionen um. Sie verschiebt sie, um eine glatte Harmonie zu stören, um die Figuren zu karikieren, sie niedlich oder grotest darzustellen oder auch um Räumlichkeit und Bewegungsabläufe im Bild zu unterstreichen und zu intensivieren.

Kleider, Vorhänge oder andere, aus üppigen, schweren und mit barocken Mustern besetzte Stoffe spielen in den Bildern von Heike Marquardt eine große Rolle. Die Auseinandersetzung mit der Mode vor allem des 18.Jahrhunderts ist ihr Anliegen. Sie macht sich Gedanken darüber, wie die Kleidung eine Figur verändern kann - kleiden, verkleiden, einengen oder ihr einen Raum beschaffen. Die Kleidung wird zum Sinnbild der Innenwelt und der Verfassung einer Person, die sie sozusagen als "zweite Haut" trägt ; sie sagt etwas über ihren Charakter oder über ihre Rolle aus. Ob als Motiv, als bedruckter Bildgrund oder als Collage – die Stoffe zeugen vom Interesse der Künstlerin einmal an Ornament und Stofflichkeit aber auch an Materialexperimenten, wie z. B. im Bild "Krokodil-Artistin" (2008), bei dem ein Teil des bemalten Stoffes aus dem Bildgeviert herausragt.

In starken, manchmal pastos, manchmal transparent aufgetragenen Farben schafft die Malerin für ihre hintersinnigen und witzigen Kreaturen stimmungsvolle, surreale Orte mit intensiver Ausstrahlung. Meistens wirken ihre Kompositionen wie Bühnenbilder, die Figuren wie Schauspieler oder Statisten in merkwürdig anmutenden Aufführungen. Auch Orte des Geschehens sind paradox. So scheint es sich im Bild "Interieur" (2007) um einen Innenraum zu handeln, wie ein Klavier, ein langer gedeckter Tisch und Bilder an einer gelben Wand suggerieren. Doch stehen die beiden Mädchen, die schüchtern einen Knicks machen, an der Schwelle zu einem Außenraum, mit Stufen, die zu einem von Arkaden umringten Platz führen, hinter dem im Hintergrund verschachtelte Gebäudefassaden auftauchen.

Die Kompositionen von Heike Marquardt sind aus unterschiedlichsten sonderbaren Elementen zusammengesetzt, die so keiner realen Situation entsprechen könnten. Dabei geht die Künstlerin meistens von realen Räumen und Eindrücken sowie von existierenden Personen oder deren Darstellung aus. Sie stellt allerdings ebensolche Figuren und Räume zusammen, die aus oft sehr unterschiedlichen Kontexten stammen, z.B. aus alten Gemälden und aktuellen Bildmedien. Dadurch werden verschiedene, disparate Ebenen zusammengefügt und fiktive Geschichten erzählt, die man nicht aufschlüsseln sondern nur erahnen kann. Neben einer sinnlichen Materialität sind dabei wichtige Aspekte die Räumlichkeit und die Bewegung. Heike Marquardt praktiziert freien Tanz. Die damit verbundene körperliche Auseinandersetzung mit Bewegungsabläufen in weitem Raum, die zunächst in der Vorstellung entstehen, bevor sie in einer Choreografie Ausdruck bekommen, finden eine Entsprechung in ihren Bildern, bei denen die Malerin durch eine suggestiv gestaltete Perspektive von Raumschichten den darin befindlichen Personen und Figuren eine eindringliche irreale Bildtiefe verleiht.